Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Donnerstag, 6. August 2015

Spielt das nun den Bläsis, Dürrs, Göergs, Pfitzkes und wiesiealle heissen wollen in die Hände ?

Ein Jahr Importstopp für Lebensmittel
Russlands steiniger Weg zu mehr Selbstversorgung

Vor einem Jahr hat der Kreml einen Importstopp für viele Lebensmittel aus dem Westen verhängt. Die Zwischenbilanz ist durchzogen, aber nachgeben will Moskau nicht.
  • von Benjamin Triebe, Moskau
Obwohl weissrussische Milch importiert wird, herrscht in Russland eine Milchknappheit.
Obwohl weissrussische Milch importiert wird, herrscht in Russland eine Milchknappheit. (Bild: Vasily Fedosenko / Reuters)
Zu den Milchprodukten, die sich in russischen Geschäften kaufen lassen, zählt billiger russischer Käse und mancherorts teurer Käse aus der Schweiz. Dazwischen gibt es natürlich Alternativen – zum Beispiel russischen Schweizer Käse. Vertreter dieser Gattung sind in Plastic verpackte Scheiben mit Namen «Schweizer Käse Premium», hergestellt in der Milchfabrik Kiprino in der Stadt Barnaul in der Region Altai, 5000 km östlich von der östlichsten Schweizer Alp. Wenn das im auf Swissness bedachten Bern die Runde macht, werden dann die Massnahmen gegen Russland zur «Vermeidung der Umgehung internationaler Sanktionen» verschärft? Oder bleibt man tolerant?

Antwort auf Sanktionen

Für den Kreml jedenfalls war es vor einem Jahr mit der Toleranz vorbei. Am 6. August 2014 ordnete Präsident Wladimir Putin an, wichtige Agrargüter und Lebensmittel aus dem Ausland nicht mehr über die Grenze zu lassen. Betroffen sind Produkte aus der EU, den USA, Norwegen, Kanada und Australien . Das war eine Retorsionsmassnahme wegen der Wirtschaftssanktionen, welche diese Länder wegen Russlands Aggression in der Ukraine gegen Moskau verhängt hatten. Moskau stellt den Importstopp als Wirtschaftsförderung dar: Mit ihm soll die oft unproduktive und veraltete russische Landwirtschaft zu neuer Stärke finden. Die Schweiz ist nicht betroffen, was besonders ihren Käseexporten geholfen hat.
Der Einfuhrstopp bezieht sich auf Schweinefleisch, Geflügel und Rindfleisch, Fisch und Meeresfrüchte, Milchprodukte aller Arten sowie Obst und Gemüse. Bereits im Juni 2015 hat Putin das Einfuhrverbot um ein Jahr verlängert. Das ist wenig verwunderlich, denn erstens sind die westlichen Sanktionen nicht gelockert worden, und zweitens sind die Investitionszyklen in der Landwirtschaft lang. Passiert ist deshalb seit dem Embargo zweierlei: Die Preise zogen an, und die Regale lichteten sich zunächst etwas, bevor sie mit Produkten anderer Herkunft wieder aufgefüllt wurden.
Wer heute in einen russischen Supermarkt geht, findet keine Leere, sondern einen Potenzbeweis des globalen Lebensmittelhandels. Was früher vor allem aus Europa stammte – Milch aus Finnland, Äpfel aus Polen, Gurken aus den Niederlanden, Südfrüchte aus Spanien –, kommt nun aus Brasilien, Argentinien, China und der Türkei. Andere Produkte, beispielsweise Lachs aus Norwegen, wurden durch wundersame Alternativen ersetzt: Weissrussland, ohne Zugang zum Meer, hat sich auf phänomenale Weise zu einem wichtigen Herkunftsland für Fisch und Meeresfrüchte entwickelt. Zumindest laut Zolldeklaration. Überhaupt wären die Folgen des Embargos schärfer, wenn es strikt umgesetzt würde. Häufig rätselt der Käufer, wie diese österreichische Marmelade und jener italienische Schinken es eigentlich ins Land geschafft haben.
Ein Effekt ist in allen Geschäften und bei allen Produkten zu spüren: die Inflation. Eine zunächst konstante Lebensmittelnachfrage traf auf ein zunächst knappes heimisches Angebot, und kurzfristig arrangierte Lieferverträge vom anderen Ende der Welt sind teurer als langfristige Absprachen mit nahen europäischen Händlern. Der fallende Rubel verteuerte zudem sowohl importierte Konsumprodukte wie auch jene Vorleistungen, die russische Produzenten einführten, um selber Lebensmittel herzustellen. 2014 erreichte die Teuerung 11%. Analytiker der Bank VTB erwarten für das Gesamtjahr 2015 eine Inflation von 15% sowie 18% Preissteigerung bei Lebensmitteln. Die Reallöhne sinken, ebenso die Verkäufe im Detailhandel. Im Juni lagen sie 9% unter Vorjahresniveau. Die Russen kaufen nicht nur günstigere Produkte, sondern versorgen sich wieder mehr aus dem Gemüsegarten der Datscha.
Laut der Alfa Bank umfasste der Einfuhrstopp zu Beginn die Hälfte aller Lebensmittelimporte. Die Importabhängigkeit wiederum variierte je nach Kategorie stark. Die UBS schätzte sie auf rund 60% bei Rindfleisch oder auf die Hälfte bei Fisch, Käse und Quark, wobei der Ausfall am Gesamtangebot durch das Embargo je nach Warengruppe bis zu knapp einem Drittel erreichte. Die Kompensation gelang relativ schnell: Der Gesamtwert der russischen Einfuhr von Lebensmitteln und Agrargütern lag laut Statistikamt 2014 bei umgerechnet 40 Mrd. $ und damit nur 8% niedriger als 2013. Im ersten Quartal 2015 brach er allerdings auf 6 Mrd. $ ein, ein Rückgang um 42% zum Vorjahresquartal – aber zu Jahresanfang hatte der Rubel zum Dollar auch dramatisch an Wert verloren.
Die russische Landwirtschaft steht vor einer grossen Herausforderung. Sie soll in einer Wirtschaftskrise bei sehr teuren Bankkrediten und fallender Konsumnachfrage jene Investitionen finanzieren, die den seit der Wende vernachlässigten Sektor wieder auf die Beine bringen – Investitionen, die sich angesichts der mehrjährigen Zyklen in der Landwirtschaft meist nicht schnell auszahlen. Milchkühe müssen wachsen, ein zuvor brachliegender Acker bringt nicht schon nach der ersten Aussaat die volle Ernte. Zudem wird die Branche von Kleinbetrieben mit geringen Skaleneffekten dominiert, die mit hohen Transportkosten, komplizierten Vertriebswegen und schlechter Infrastruktur kämpfen (etwa fehlenden Lagerhäusern und einer löchrigen Kühlkette).

Tricks und Subventionen

Zwar erlässt der Staat trotz wachsendem Haushaltsdefizit den Produzenten Steuern, offeriert Zinsvergünstigungen sowie Subventionen, aber kurzfristig helfen manchmal offenbar nur Tricks. Während Russlands Gesamtproduktion im Agrarsektor im ersten Quartal nur um rund 4% wuchs und die Fleischproduktion in den ersten vier Monaten immerhin um 14% zulegte, explodierte die Käseherstellung in diesem Zeitraum um gleich 30%. Doch die Milchproduktion blieb konstant, die Milchimporte fielen. Wo kam der Rohstoff für den Käse her? Inzwischen gilt es als Konsens, dass die Branche massenhaft mit Palmöl streckt und (undeklarierten) Kunstkäse herstellt. Der Kreml bleibt derweil hart. Jüngst unterzeichnete Putin ein Dekret, wonach beschlagnahmte Schmuggelware aus den bestraften Ländern nicht etwa zu wohltätigen Zwecken verteilt, sondern vernichtet werden soll.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen