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Donnerstag, 30. Juli 2015

Im Schwarzerdegebiet bei Kursk wollte sich der deutsche Landwirt Stefan Dürr den Traum von einer eigenen Kolchose erfüllen. Mit einem russischen Duma-Abgeordneten gründete er vor gut zwei Jahren den Agrarbetrieb „Metschta Kolchosnika“ (Traum des Kolchosbauern). Doch dann setzte die Schutzgarde seines Kompagnons den Deutschen vor die Tür. Nun kämpft Dürr vor russischen Gerichten um sein Eigentum, die verlorenen Investitionen und den Posten des Geschäftsführers.

9. Januar 2003

Albtraum in der Kolchose

Im Schwarzerdegebiet bei Kursk wollte sich der deutsche Landwirt Stefan Dürr den Traum von einer eigenen Kolchose erfüllen. Mit einem russischen Duma-Abgeordneten gründete er vor gut zwei Jahren den Agrarbetrieb „Metschta Kolchosnika“ (Traum des Kolchosbauern). Doch dann setzte die Schutzgarde seines Kompagnons den Deutschen vor die Tür. Nun kämpft Dürr vor russischen Gerichten um sein Eigentum, die verlorenen Investitionen und den Posten des Geschäftsführers.

Als Stefan Dürr Ende der 80er Jahre zum ersten Mal die Felder in der südrussischen Region um Kursk erblickte, schlug sein Agrarierherz höher: Schwarzerde, soweit das Auge reicht. Nicht kleine Parzellen wie in seiner baden-württembergischen Heimat, sondern gigantische, Hunderte Hektar große Flächen. „Schnell habe ich gespürt, dass man hier mit den gleichen Investitionen viel mehr Gewinn machen kann als in Deutschland“, erzählt der 39-Jährige heute.
In Russland hatte er sich schon 1989 verliebt, als er als erster Praktikant der Bundesrepublik in Kolchosen der Moskauer und Kursker Oblast für seine Diplomarbeit recherchierte. Für Dürr war schnell klar, dass seine berufliche und private Zukunft in Russland liegt. So gründete er Mitte der 90er Jahre in Moskau eine Tochterfirma seiner deutschen Ekosem-Agrar GmbH – die EkoNiva. Er handelte mit Landwirtschaftstechnik und Samen, gab sogar eine Fachzeitschrift in Russland heraus und organisierte die Agrarproduktion in den Gebieten Kursk, Woronesch, Krasnodar und Orenburg. Mit seiner Firma EkoNiva Agro bewirtschaftete Dürr zuletzt rund 20 000 Hektar Ackerfläche in Russland.
Doch plötzlich droht der Traum zum Albtraum zu werden, weil sein russischer Geschäftspartner nicht mehr mitspielt. Im August 2000 gründete der deutsche Unternehmer zusammen mit dem Duma-Abgeordneten Alexander Tschetwerikow bei Kursk den Landwirtschaftsbetrieb „Metschta Kolchosnika“. Der Parlamentarier besitzt mit der „Agrarholding“ einen der größten Landwirtschaftskonzerne des Landes, der nach eigenen Angaben etwa 3,5 Prozent des einheimischen Marktes beherrschen soll. Der Russe war zunächst Alleineigentümer des deutsch-russischen Unternehmens, stellte Dürr aber 20 Prozent des Gewinns und den Managerposten in Aussicht. Gemeinsam mit weiteren Investoren finanzierte der Deutsche das Projekt mit drei Millionen US-Dollar. Tschetwerikow sicherte seinerseits Investitionen von 7 bis 15 Millionen Dollar zu, von denen nach Dürrs Angaben aber nur eine Million Dollar in den Betrieb geflossen sind. Dennoch lief das Business zunächst prächtig. Auf 10 000 Hektar wurde Braugerste angebaut, die bei bekannten Bierherstellern des Landes großen Absatz fand. „Alexander und ich hatten schon gescherzt, dass wir bald auf die Kanaren fliegen können, wenn das Geschäft weiter so floriert“, erzählt Dürr. 
Doch sein Geschäftspartner machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Über seine in Panama registrierte Firma Shero-Business ließ Tschetwerikow Traktoren, Mähdrescher und Pflüge im Wert von einer Million Dollar für das gemeinsame Projekt einkaufen. Im Voraus zahlte er 300 000 Dollar, für den Rest besorgte Dürrs Tochterfirma „EkoNiva Agro“ einen Bankkredit. Doch Tschetwerikow versäumte Monat für Monat, die Tilgungsraten zu zahlen. Deshalb stimmte Dürr schließlich zu, 200 000 Dollar Schulden gegen 20 Prozent Anteil an „Metschta Kolchosnika“ zu tauschen. Im Juli 2002 wurde er außerdem Generaldirektor des Agrarbetriebs, wartete aber weiter vergeblich auf die Rückzahlung der noch ausstehenden Gelder. Er setzte Tschetwerikow den 10. November als Frist für die Tilgung. 
Doch dazu kam es nicht mehr. Sicherheitsleute des Abgeordneten stürmten wenige Tage zuvor in das Büro von „Metschta Kolchosnika“, beschlagnahmten Finanzunterlagen sowie Stempel und blockierten die Erntetechnik. Außerdem ließ der Volksvertreter Gerste im Wert von 2,4 Millionen Euro mitnehmen. Der Deutsche bekam keinen Zutritt mehr zur Firma und konnte auch über sein Eigentum nicht mehr verfügen. „Diese Aktion entsprach weder russischem noch internationalem Recht“, meint Olga Romanowa, die Anwältin von „EkoNiva Agro“. Die Entlassung Dürrs verletze eindeutig das GmbH-Gesetz des Landes. 
Mit neun Klagen vor verschiedenen Gerichten versucht der deutsche Investor jetzt, sein Eigentum zu retten. Er schätzt, dass „Metschta Kolchosnika“ seiner Ekosem Agrar GmbH noch 17 Millionen Rubel (etwa 500 000 Euro) schuldet. „Das Wichtigste für mich ist, mein Geld zurückzubekommen“, sagte Dürr in Moskau. Er spüre eine starke Unterstützung von der russischen Regierung und Abgeordneten der Staatsduma. „Das zeigt mir, dass man in diesem Land doch ordentlich arbeiten kann“, meint der Unternehmer, der in Agrarfragen bereits das russische Parlament beraten hat und die Zusammenarbeit der Agrarkomitees von Bundestag und Staatsduma koordiniert.
Gegenspieler Tschetwerikow begründet die Entlassung des Deutschen mit Managementfehlern. Unter seiner Geschäftsführung hätten sich bei „Metschta Kolchosnika“ Schulden in Höhe von 87 Millionen Rubeln angehäuft, argumentiert er. „Die Firma ist praktisch bankrott.“ Außerdem habe Dürr den Angestellten mehrere Monate keine Gehälter gezahlt und ihm keinen Einblick in die Geschäftsunterlagen gewährt. „Ich habe ihn also aus ganz objektiven Gründen entlassen“, verteidigte sich Tschetwerikow. 
„In Moskau hatte man mich vor diesem Mann gewarnt. Aber ich hatte das Gefühl, er sei ein ehrlicher Geschäftsmann“, meint Dürr nach der unsanften Enteignung. Er hatte Tschetwerikow im April 2000 bei einem Besuch russischer Parlamentarier in Deutschland kennen gelernt. Der Vorsitzende des Agrarausschusses des russischen Föderationsrates, Iwan Starikow, sieht das Ansehen seines Landes durch den Vorfall stark gefährdet. Der deutsche Landwirt lebe seit zehn Jahren in Russland und habe eine Menge privates Geld hier investiert. „Die Aktionen gegen Dürr schwächen unsere Reputation“, fürchtet der Politiker. „Immerhin ist der Täter ein Duma-Abgeordneter.“ Für Starikow hat der Vorfall nicht nur juristische, sondern vor allem politische Bedeutung. „Im Westen müsste sich jeder Abgeordnete, der solche Geschäfte macht, öffentlich dafür verantworten. Bei uns leider nicht.“
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